Tango in Buenos Aires

Und es geht doch: Im Tangohimmel trotz Fußproblemen

10 Jahre ist es her, als ich fast aus dem Tangohimmel gefallen bin. Extreme Fußschmerzen bremsten mich damals aus und ich war fast versucht, meine Tanzschuhe an den Nagel zu hängen. Stattdessen erweckte ich die Draufgängerin in mir und es entstand dieser Blog, in dem ich alle meine Erfahrungen, Tipps und Geheimnisse rund um das Thema Füße und Körperspüren teilte.

„Ich will einen Ratgeber schreiben. Eine Art „Überlebens-Guide für Tango-Tänzerinnen. Worin ich all die Tipps, Kniffe und Helferleins vorstelle, die das Tanzen wieder zu einem echten Vergnügen machen“
Das war meine Motivation 2015 – Entstanden ist mein Buch „Wenn Tango Leiden schaf(f)t – Mit glücklichen Füßen genussvoll tanzen.“ – Dieses Buch hat vielen, vielen Menschen geholfen, wieder auf die Beine und Tänzerinnen wieder auf die Piste zu kommen.
Für mich ging es danach erst richtig los…

Spüren lernen

In der Zwischenzeit habe ich gelernt, Genuss, Sinn:lichkeit und sexuelle Energie als Basis für mein Sein in mein Leben zu integrieren. Genau dies erleben auch meine CoachingkundInnen, die staunend erleben, dass wie sie mehr und mehr Feingefühl über lustvolle Körperwahrnehmung entwickeln und wie dies Erfolg in jeder Beziehung nach sich zieht.  

Glaubensätze, Vorannahmen, Ein:Schränkungen können uns üble Fußschmerzen bescheren oder andere körperliche Probleme nach sich ziehen. Sie können uns den Tango vermiesen oder eine sexuelle Begegnung nicht innig erleben lassen. Aber auch Beziehungen können in die Brüche gehen.

Wenn das Ende ein Anfang wäre

Aus Mit Vergnügen – Erzählung – Von einer Frau auf dem Weg zu sich selbst

Unser Unterbewusstsein hat seine eigene Logik und oft kommen Menschen zu mir, frustriert, weil „es genau dann, als ich begann, mich mehr um mich zu kümmern, schlimmer wurde…“ Gerade dann, wenn viele versucht sind, aufzugeben, fängt das Leben an, spannend zu werden, nämlich genau dann, wenn du bereit bist, dich für das Unbekannte zu öffnen, statt dich von deinem „kleinen ich“ weiterhin begrenzen zu lassen.
Das gilt für deinen Tango genauso wie für dein Leben.

Warum Argentinien?

So ein langer Flug, hier gibt es doch auch gute LehrerInnen, Tanzen kann ich hier genauso gut. Ist das die Anstrengung wert? Ist es dort sicher? Muss ich mich dort von Steaks ernähren? Wie kann ich mich dort verständigen?…
Du kennst das bestimmt auch: Wenn du das Haar in der Suppe suchen willst, macht dein innerer Kritiker einen Luftsprung vor Begeisterung und liefert dir Ausreden genug, um dich nicht aus deiner Komfortzone zu bewegen.
Ganz so schlimm war es bei mir nicht, ich erzählte mir lediglich: „Das brauche ich nicht…“ Bis mich meine Lebenslust und Neugier packte.

Und dann kam Martha Giorgi gerade recht mit ihrer „exklusiven und abenteuerlichen Tango Reise in kleiner Gruppe – wie unter Freunden.“ Martha kenne ich seit Jahren als leidenschaftliche Tanguera und akribische Lehrerin. Irgendwann verlor ich sie aus den Augen, und nun steht sie herzlich lächelnd am Flughafen und begrüßt uns in ihrer Heimatstadt.

Nachdem wir unsere Zimmer im Tangohotel bezogen hatten, einer Teilnehmerin, deren Koffer nicht mitwollte, mit Kleidung aushalfen, fuhr uns Martha nach einem kunstvoll in einem Maisblatt gewickelten, landestypischen Snack, zur ersten Milonga. Eine Open-Air-Tangoveranstaltung.

Warmwerden

So, wie sich Erotik nicht auf Knopfdruck anschalten lässt, kann auch dein Körper nur auf eingefleischte Verhaltensmuster zurückgreifen, wenn du ihm nicht die Gelegenheit gibst für einen Reset. Deshalb beginnt unser täglicher Tangounterricht mit Martha mit Warm-Up. Konzentration und Körperlichkeit. Bewegungsabläufe, die wir minutiös ausführen und immer wieder wiederholen. Wie ein körperliches Mantra, das nach unzähligem Rezitieren plötzlich Teil von dir wird.
„Ihr programmiert euch neu“, erklärt uns Martha, als sie uns zu hypnotischer Musik Bewegungsabläufe häufig wiederholen ließ, um sie im Körpergedächtnis zu speichern.
Eure Hände sind wie Antennen, erklärt sie uns und hält uns immer wieder an, unsere Ellenbogen „unten“ zu halten, und mit einem leichten Muskeltonus im Arm, die Signale des Partners zu empfangen.
Wie häufig sie uns anhielt, die „Hüften nach hinten“ zu nehmen, kann ich nicht sagen… Oft genug, so dass mich abends beim Tanzen eine innere Stimme mit „Hüfte hinten – Ellenbogen vorne“ begleitete, was ich grinsend quittierte. Bereits nach ein paar Tagen spüren wir den Unterschied. Während der allabendlichen Milongas (Tangoveranstaltungen) erlebe ich mit den neuen Moves auch den Flow.

Wie beim Sport: Muskeln, die du für Wertschätzung brauchst, müssen erst wachsen.

Nachdem wir uns während der ersten Woche hauptsächlich im Barrio (Stadtteil) Palermo bewegten, uns mit Tangoschuhen versorgten, die Frauen sich Kleider kauften und die Männer Hosen schneidern ließen, fuhren wir über Nacht mit Bus ins Landesinnere nach La Cumbre. Ein wunderschön gelegenes Anwesen mit feiner Küche, Pool und liebevoll eingerichteten Zimmern. Mitten in der Pampa erholten wir uns von der Großstadt. Unterricht im Freien, diesmal mit genussvollem Yoga zum Einstimmen, exzellenter Massage im Schatten eines Baumes, und Baden am Fluss wartete ein Programmpunkt auf uns, vor dem ich kneifen wollte.

Grenzen überwinden

Jeder aus unserer Gruppe kam während dieser Reise an seine Grenzen. Mein Körpergedächtnis bekam auf unerwartete Weise ein Update. Wenn unser Körper nach einer traumatischen Erfahrung viel Energie eingeschlossen hat, weiß er nicht, wohin mit dieser Energie. Und das führt zu Symptomen. Bei mir in Form von Tränen und Panik angesichts der Herausforderung, zum ersten Mal in meinem Leben auf einem Pferd zu reiten. Allein die Vorstellung, ein Pferd zu besteigen, hat mich meinen Körper mit Stress reagieren lassen. Über Somatic Experience und meine jahrelange Körperarbeit, habe ich gelernt, in solchen Stresssituationen das wahrzunehmen, was da ist. Sinneseindrücke: Den warmen Pferdekörper streicheln, die freundlichen, ermunternden Stimmen zu hören, die Hand des Gouchos auf meinem Rücken, als ich mir endlich einen Ruck gab und aufstieg… Laut Peter Levine wirkt sich so ein Update auf das gesamte Körper-Geist-System aus und wie Marta es auf den Punkt brachte: „Mit jeder Angst, die du überwindest, wirst du mehr über dich erfahren.“
Was ich an Martha so liebe: Sie gab mir auch den Tipp, mich mit der Seele des Pferdes zu verbinden und meinen Beckenboden mit dem Pferd verschmelzen zu lassen. Und wer hätte das gedacht: Ich kann reiten.

Nachdem wir auf dem Land einige unerwartete Abenteuer erlebten, flogen wir zurück nach Buenos Aires. Diesmal wohnten wir in San Telmo. Ein lebendiges Barrios, auf dem Platz vor dem Hotel gab es täglich Tangoeinlagen für die staunenden Touristen. Und wir genossen Tangounterricht von den ganz Großen: Ricci Barrio, Alejandra Mantiñan und Aoniken Quiroga und immer wieder von Martha Giorgi, die selbst Showtänzerin ist und Festivals organisiert.

Stretching für Körper und Geist

Während unseres Aufenthaltes gab es eine Hitzewarnung, was uns jedoch nicht davon abhielt, bei 36 Grad in der Öffentlichkeit zu tanzen. Zwei Wochen später erlebten wir einen Temperatureinbruch: Mit 14 Grad der kälteste Februartag seit 62 Jahren. Brrr…
Zeit für einen Museumstag, ich genoss das Geschenk, allein mit Martha die Ausstellung einer feministischen argentinischen Karikaturistin zu besuchen.
Wenn mir etwas fehlte – neben Schlaf, dann war es Kaffee. Stattdessen kreiste häufig die Bomilla, wie der ausgehölte und verzierte Kürbisbehälter genannt wird, aus dem Matetee getrunken wird. Ein Gemeinschaftserlebnis, denn so wie eine Friedenspfeife trinkt reihum jeder aus dem Edelstahlröhrchen.
Apropos Schlaf. Ich weiß nicht, ob wir Deutschen ihn überbewerten… Die Milongas jedenfalls beginnen frühestens gegen 22.00h, so richtig los geht es mit dem Tanzvergnügen jedoch erst ab Mitternacht, dafür dauern die Veranstaltungen schon mal bis in den Morgengrauen.

Nachdem ich die letzten Jahre in Deutschland sehr viel Zeit in Altersheimen verbracht habe, und so häufig die Verzweiflung, die Langeweile und Einsamkeit der alten Leute gespürt habe, brachte mich Buenos Aires zum Staunen. Nicht nur, dass Tango dort bis ins hohe Alter getanzt wird – die älteste Dame bringt es auf über 90 Jahre und genießt die Rondas in den Armen eines jungen Taxitänzers. Das sind tanzbegeisterte Männer, die frau für eine Veranstaltung buchen kann – gibt’s übrigens auch in Wien für die Opernbälle.

Tango hält jung


Was das jedoch noch toppte:
Während bei uns die älteren Semester früh ins Bett gehen, rocken in Buenos Aires die Großväter nachts um halb drei für die Enkel. Wir staunten über die alten Herren, die mit ihrer Musik und ihrer Leidenschaft die Tanzenden mit ihrer Tangomusik beglückten.
Einige von ihnen spielten in jungen Jahren mit D’Arienzo, einem legendären Tangomusiker, der vor knapp 50 Jahren gestorben ist. Und als ich noch versucht war, mir zu erklären, dass sie vielleicht einmal die Woche auftreten, sahen wir sie nachts drauf wieder…


Die Amerikanerin Christine Northrup, Frauenärztin, hat nicht nur ein wunderbares Buch über die Wechseljahre geschrieben. In ihrem Buch „Göttinnen altern nicht“ schwelgt sie – halt dich fest – über Tango. Sie tanzt selbst und schreibt über die lustvollen Momente, die sie durchlebt in einer Tangonacht. In ihrem Buch schreibt sie über das Nichtaltern. Und Lust gehört als Medizin definitiv dazu. „Jung“ zu denken und Tanz wirken sich auf unseren Hormonhaushalt aus und lassen uns tatsächlich jünger erscheinen.

Tango wie am Schnürchen

Wie in einer langjährigen Beziehung können wir abstumpfen und uns darauf konzentrieren, was nicht gut läuft. Das bekommen wir dann auch geliefert – nach dem Motto: Energie folgt der Aufmerksamkeit. Dumm nur, dass sich das auch auf andere Lebensbereiche auswirkt. Wie schön, dass es ein Antidot gibt: Die Vorfreude. Ein freudiges, leicht aufgeregtes Einstimmen auf das, was kommt. Vorfreude bringt uns zu Strahlen, gibt uns Energie und macht uns attraktiv. Dann läuft das mit dem Cabeceo wie am Schnürchen. Cabeceo ist die gegenseitige Einladung und Aufforderung zum Tanzen mittels Augenkontakt und unmerklichem Nicken. Für TänzerInnen die eleganteste und rücksichtsvollste Form der Aufforderung.

Den letzten Abend mit unserer Gruppe verbrachten wir – du ahnst es – bei einer Milonga. „Wie machst du das?“, wollten die anderen von mir wissen, denn ich wurde pausenlos aufgefordert. Lange genug habe ich mich in meinen ersten Tangojahren gequält mit undienlichen Glaubenssätzen, wie „bin ich gut genug? oder banger Erwartungshaltung: „hoffentlich sitze ich hier nicht nur herum…“. Ich habe gelernt, mich in Vorfreude zu üben und eine Milonga als Gesamtkunstwerk zu schätzen. Und je mehr ich dies beherzige, umso mehr und genüsslicher tanze ich.

Lese auch meinen Artikel Sexualtherapie und Tango.

Abrazos y Besos – oder wenn dir das Leben zunickt

Danke Martha, du hast mir Argentinien so vermittelt hat, dass ich sehr gerne wiederkomme, du hast mir ein noch tieferes Verständnis für den Tango ermöglicht, vor allem aber habe ich dich als herzliche, emanzipierte und lebenskluge Frau schätzen gelernt.

Ich hoffe, ich habe dir Lust gemacht auf Tango, auf Argentinien oder einfach das Leben zu genießen.


Birgit


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