Wie Sehgewohnheiten unser Wohlbefinden beeinflussen
Dominique muss es wissen. Sie unterrichtet Burlesque und bringt Frauen bei, sich schön und wohl zu fühlen in ihrem Körper und ihn dabei ins rechte Licht zu rücken. „Wenn du dich in einem großen Spiegel betrachtest, dann fange unten an. Ganz unten, bei deinen Füßen“, erklärte sie „Du wirst dich schöner fühlen, wenn dein Blick im Spiegel langsam nach oben wandert, statt anders herum.“
Es ist einige Jahre her, als ich diesen Satz von ihr gehört habe und jetzt ergibt er einen Sinn. Aber gemach. Immer schön langsam. In diesem Artikel geht es um die Verbindung von Augen und deinem Wohlbefinden. Du wirst staunen…
Mit gesenktem Blick
Über Jahrhunderte war es dem gemeinen Volk verwehrt, Menschen von höherem Stand auf Augenhöhe zu begegnen. Ein solch erzwungen gesenkter Blick war eine Erniedrigung. Und nur ein Hans-Guck-in-die-Luft traute sich, in Kirchen den Blick zu den herrlichen Deckenfreskos zu heben. Ganz zu schweigen von den Schlössern, in denen Künstler mittels Trompe-l’œil, einer raffinierten Maltechnik – die „das Auge täuschen“ bedeutet, die Blicke der Adligen zur Decke schweifen ließen. Lakaien und Bedienstete sollten bittschön „auf dem Boden bleiben“.
Ein Blick nach oben erheitert das Gemüt. Uraltes Wissen, das die Reichen zu nutzen wussten – Stuckdecken und Lüster zeugen davon. Einzig, den Wolken nachzuschauen und die Sterne zu betrachten, war auch den einfachen Leuten möglich, wenn sie dafür nicht zu müde waren.
Freiheit eine Frage des Blickwinkels?
Ich habe nicht schlecht gestaunt, als ich vor vielen Jahren eine australische Malerin einen Tag begleitete und mit ihr zusammen Schlösser angeschaut habe. Sie nahm sich die Freiheit und legte sich auf den Boden. Inmitten eines Saales. Dort lag sie und staunte. Sog all die Pracht in sich auf, während ich damit beschäftigt war, mich und andere Besucher zu beruhigen, denn der Anblick einer schick gekleideten, etwa Sechzigjährigen, mitten auf dem Boden lässt an eine Notsituation denken. Weit gefehlt. Sie klärte mich auf: „Als Künstlerin und Mensch nehme ich mir die Freiheit, Dinge genauer in Augenschein zu nehmen.“
Perspektivenwechsel.
Ich lade dich dazu ein, die Perspektive einer Beobachterin in dieser Szene einzunehmen. Fühlt sich das befremdlich an? Wo in deinem Körper?
Dann erlaube dir, dich mit der Frau auf dem Boden zu verbinden. Beobachte dich dabei. Was passiert mit deiner Atmung, wie fühlt sich das in deinem Körper an. Wie lange kannst du „bleiben“? Oder bist du versucht, auszuweichen und deinen Blick abzuwenden? Lese dazu auch Schämen im Sommer.
Falls du dich fragen solltest, warum ich in diesem Artikel immer wieder in die Vergangenheit zurückgreife: Scham steckt uns in den Gliedern. Und teilweise ist es die Scham der Generationen vor uns, die uns die Welt nicht so wahrnehmen lässt, wie sie ist, sondern wie wir angehalten worden sind, sie zu sehen…
Um also die Welt mit neuen Augen zu sehen, gilt es Bewusstheit einzuladen, um uns für unsere Größe zu öffnen und all das Schöne, das uns umgibt.
Wenn wir nach oben blicken, hebt sich unsere Stimmung
Augenblicklich mehr Lebensenergie
Von einer taoistischen Meisterin habe ich gelernt, dass wir allein, wenn wir mit den Augen den Zentralmeridian nachfahren, der in gerader Linie vom Venusbein nach oben bis zur Unterlippe verläuft, unsere Energie erhöhen können. Nichts anderes macht Dominique, wenn sie uns mahnt, uns im Spiegel von unten nach oben hin zu betrachten.
Fährt man durch eine Geste der Hand oder mit den Augen, den Weg jedoch in die andere Richtung – nach unten, schwächt dies. Genau dies machten sich die Reichen und Mächtigen (und Kung Fu-Kämpfer) zunutze, wenn sie ihr Gegenüber mit abschätzigen Blicken bedachten.
In die Weite schweifen
In weitläufigen, prachtvollen Räumen können unsere Augen sich satt sehen, erwartungsvoll umherschweifen und auf einem Punkt, der uns fesselt landen. Schlösser, Paläste und Tempel bieten Augenweiden, Blumenschmuck, kostbare Kunst: alles, was das Auge erfreut. Je mehr Gelegenheit die Augen haben, sich in Schönheit zu versenken, wirkt sich das beruhigend auf das Nervensystem aus. Ein weiter Blick – ein freier Geist.
Das Gegenstück ist Unordnung, Schmutz und das Fehlen angenehmer Augenweiden, wie es in ärmlichen Behausungen gleich neben den Palästen der Welt zu beobachten war und ist.
Worauf wir unseren Fokus legen ist erlernt.
Was für die einen ein kostbares Souvenir, ist für die anderen ein Staubfänger. Entwicklungsgeschichtlich haben unsere menschlichen Vorfahren die Umgebung abgescannt, um mögliche Gefahren frühzeitig zu erkennen. Für Bedienstete war Kritik eine drohende Gefahr und entsprechend haben sie gelernt, sich auf die unschönen Dinge zu konzentrieren, um ihre Anstellung nicht zu verlieren. Wo ein reicher Mensch sich in Sicherheit wägt und Freude an all den optischen Schätzen genießt und sie mit den Augen in Besitz nimmt, ist ein Mensch, der ange:herrscht wird, auf dem Sprung.
Wie du neue Sehgewohnheiten trainieren kannst.
Auch unsere Augen können „auf dem Sprung“ sein. Hierzu eine feine Übung: Fahre mit deinen Augen neugierig den Stamm einer Pflanze nach oder dem Faltenwurf eines Vorhangs. Langsam. Wenn du merkst, dass dein Blick nicht mehr gleitet, sondern springt, setzte an diesem Punkt wieder an und fahre fort. Beobachte dabei, was in deinem Körper vorgeht. Wie atmest du?
Noch etwas wirst du vielleicht wahrnehmen: Dass du versucht bist, die Augen zu schließen. Und das ist spannend, denn die Augen vor etwas zu verschließen, hilft uns, etwas nicht wahrzunehmen. Etwas über sich ergehen zu lassen…
Deshalb lade ich dich ein, dich achtsam und genüsslich zu dehnen und zu räkeln und dabei mit offenen Augen langsam, sehr langsam im Raum umzusehen. Das macht einen großen Unterschied und beschenkt dich mit der gefühlten Erfahrung von Sicherheit.
Orientierung im Raum schafft ein Gefühl der Geborgenheit
Augenblicklich ruhig werden.
Nervosität und Unruhe können wir begegnen, indem wir uns langsam im Raum umsehen, den Kopf drehen und mit den Augen auf einem Punkt „landen“. Probiere das aus, du wirst sofort merken, dass sich dein Atem vertieft, ein gutes Zeichen, dass du dich entspannst. Durch das Wenden des Kopfes und das Schweifen der Augen wird der Vagus Nerv angeregt. Das parasympathische Nervensystem wird aktiviert und wirkt Stress entgegen. Kleine, kaum wahrnehmbare Verspannungen können sich so lösen und du entwickelst neue Sehgewohnheiten.
Und du fängst irgendwann an zu lächeln.
Ein frischer Blick
„Unser Blick sollte ausdrücken, was wir im Herzen empfinden“, schreibt die berühmte Schamforscherin Brené Brown. „Und dennoch“, so schreibt sie weiter, „sehen unsere Liebsten häufig Kritik in unserem Gesicht. Das darf sich ändern. Statt sich auf das zu fokussieren, was „falsch“ ist, dürfen wir uns erlauben, unsere Freude auszudrücken, wenn wir sie sehen.“
Das braucht Bewusstheit. Das braucht Augenhöhe. Das braucht mit Weit-Sicht genährte Sinne. Und ein dabei bleiben, bis unser Blick ein Lächeln ausstrahlt.
Lass deine Augen strahlen.
Denn Lächeln, so sagte meine großartige taoistische Lehrerin ist die beste Medizin für jede Lebenslage.
Lächeln macht die Welt zu einem besseren Ort
„Spiegel bieten uns Gelegenheit, uns anzulächeln. Also macht das,“ lud Dominique uns ein, „vor allem morgens im Bad.“
Gern dürfen wir uns eine burlesque Augenweide auch im Badezimmer schaffen, die uns schmunzeln lässt und uns täglich daran erinnert, dass wir großartig, frei und wunderschöne Wesen sind. Und mit diesem Bewusstsein dürfen wir auch all den Menschen begegnen und ihnen freundliche Blicke auf Augenhöhe schenken. Sie erheben, indem wir freundlich den Blick heben und lächeln.
Hast du Lust, neue Sehgewohnheiten zu entwickeln? Ich unterstütze Menschen durch augen-öffnendes und bewegendes Hypnocoaching. Neue Blickwinkel kannst du auch durch das SCHUHRAKEL einnehmen.
Alles Liebe
Birgit
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Herzlichen Dank für den Kommentar…einige Wochen hatte ich Schmerzen im Nacken und im Arm und kam dabei auf den Vagusnerv, mit Übungen und vor Allem das Wissen um den Vagusnerv bekam ich meine Schmerzen weg. Diesen klaren Blick von dem Du schreibst werde ich in meinen Alltag einbauen.
Diesem sensiblen Nerv der durch unseren ganzen Körper schweift sollten wir viel mehr Beachtung schenken.
Liebe Grüße aus dem Salzkammergut Gitti
Liebe Gitti,
vielen Dank für deinen Hinweis. Manche Schmerztherapien nehmen gezielt über den Vagus Nerv Einfluss und erzielen damit – ohne Nebenwirkungen – Schmerzlinderung. Unterschwellige Anspannung kann man z.B. durch eine sanfte Ohrmassage abklingen lassen. Über die Augen stellt sich der Effekt nicht ganz so schnell ein, ich beobachte dafür, dass die Wirkung länger anhält.
Liebe Grüße – Birgit