Unser Allerwertester – So viel Potential



Während ich mich gesundheitlicher, ästhetischer, erotischer und psychologischer Betrachtungen des Hinterteils hingebe, merke ich, für diesen Artikel über den Po braucht es mehr als nur Sitzfleisch. Der Hintern, allzu oft despektierlich behandelt und zum Still-Sitzen verdammt, will, dass ich für ihn Position einnehme.


Wie hast du bislang über deinen Hintern gedacht? War er dein Allerwertester oder hat er ein Schattendasein geführt? Oft wird er verschmäht oder nicht beachtet. Und doch ist er unglaublich wichtig. Hinsetzen kann sich jeder Mensch, doch um deinen Platz einzunehmen und Haltung zu zeigen, braucht es Bewusstsein für die Rückseite und deinen Hintern.

Bewegtes Sitzen

Vorneweg: Die Po-Muskulatur spielt eine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung einer stabilen und aufrechten Haltung des Körpers. Doch dank seiner Fettpolster, in einer dicken Schicht von mehreren Zentimetern unter der Haut, ermöglicht er auch längeres Sitzen. Vielleicht liest du diesen Artikel im Sitzen und bist versucht, zwischendurch die Gesäßmuskeln anspannen, in der Hoffnung, dass der Po schön straff wird oder bleibt.
Dass dies keine gute Idee ist, erklärte mir eine Fitnesstrainerin:
Man sollte ihn niemals extra anspannen, das blockiert die Außenrotatoren, die für die Form den Pos verantwortlich sind und die Gesundheit des Hüftgelenks unterstützen und zudem den Beckenboden. Damit geht jegliche Eleganz verloren.

AproPOs: Der Begriff Sitzfleisch für das Gesäß wird als Metapher für Ausdauer und Beharrungsvermögen verwendet.

Um Beschwerden vorzubeugen, kannst du in einen ergonomischen Stuhl investieren oder im Stehen an einem höhenverstellbaren Schreibtisch arbeiten.

Eleganz und Sinnlichkeit jedoch sind eine Sache der Körperwahrnehmung. Probiere gleich jetzt deine Gesäßbeinhöcker zu spüren. Je mehr du die beiden „Huckel“ tagsüber ins Spiel und damit genüsslich in Bewegung bringst, umso mehr erdest du dich. Außerdem fühlt sich dein Körper nicht sitzengelassen.

Wie wäre es, wenn du dich nach einem Chair-Dance-Workshop umschaust. Dort lernst du auf sinnliche Weise mit deinem Stuhl zu tanzen. Danach wirst du nicht nur kreativer mit deinen Sitzgelegenheiten umgehen. Vielleicht erkürst du Burlesque zum neuen Hobby. Ich liebe es, auf und mit einem Stuhl zu tanzen.

AproPOs: Um deinen Platz einzunehmen musst du nicht sitzen

Die Bedeutung der Po-Muskulatur wird oft unterschätzt, dabei spielt sie eine entscheidende Rolle für Gesundheit und Wohlbefinden. Ist sie nicht trainiert, lässt sie die unteren Rückenmuskeln die Arbeit machen. Das führt zu Rücken-, Hüft- oder Knie- und Fußschmerzen.
Dass diese Probleme kulturell bedingt sind, kannst du nachvollziehen, wenn du Menschen in Indien beobachtest. Dort geht man in die Hocke oder sitzt im Schneidersitz auf dem Boden.


Wenn du am Abgrund stehst – dann setz dich und genieße die Aussicht!

Yogis wissen: Uns auf die Hinterbacken zu setzen kann uns in turbulenten Zeiten helfen, uns zu zentrieren. Denn in der Nähe deines Steißbeins befindet sich das Wurzelchakra. Es wird mit den Themen Sicherheit, Verwurzelung und unseren grundlegenden Bedürfnissen in Verbindung gebracht.

AproPOs: Popo ist auch der Ursprung für die Redewendung „Setz dich auf deine vier Buchstaben!“

Genug vom Sitzen, wenden wir uns den Rundungen zu.

Topografische Anatomie des Hinterteils


Wie wir schon wissen, spielt die Po-Muskulatur eine wichtige Rolle bei der Stabilisierung der Körperhaltung und der Bewegungskoordination. Wenn du deinen Hintern trainierst, verbessert das dein Gleichgewicht und die Stabilität beim Stehen, Gehen, Laufen und Springen. Ob beim Wandern, Yoga oder Tanzen, ist eine gut trainierte Po-Muskulatur unerlässlich für eine effektive Bewegungsausführung und zur Vermeidung von Verletzungen. Der gesundheitliche Aspekt dürfte jedoch nicht der einzige sein, warum gerade „Bauch-Beine-Po“-Stunden in Fitnessstudios seit Jahren beliebt sind.

Ein straffer Po ist gängiges Schönheitsideal, dem nicht selten durch einen ästhetischen Eingriff nachgeholfen wird. Wer sich von der Natur nicht begünstigt fühlt, drängt es schon mal zum Schönheitschirurgen, um die Gesäßbacken mit Eigenfett aufpolstern zu lassen. Hier ein Auszug aus einem Werbetext: „Für die ästhetische Optik spielt die Po-Muskulatur eine entscheidende Rolle. Ein straffer und wohlgeformter Po ist ein Symbol für Weiblichkeit und Attraktivität. Durch einen gezielten Eingriff die Figur formen und das Selbstbewusstsein steigern.“

Zeitgeist und Selbstbewusstsein

Klein und fest oder weich und groß. Apfel-, birnen-, herz- oder kastenförmig. Die Rede ist vom Popo. Form und Größe der Gesäßbacken hängen von den Schönheitsidealen einer Gesellschaft ab. Was der Zeitgeist mit unseren Körpern macht, können wir am Gesäß wahrnehmen oder genauer an der Masse des subkutanen Fetts. Seine Menge (ca. ein Drittel bis weit über die Hälfte der Gesäßmasse) hängt in erster Linie vom Geschlecht und vom Ernährungszustand ab – und mit steigendem Selbstbewusstsein immer weniger davon, was die Herrenwelt entzückt.

Dabei können wir uns fragen, ob die Emanzipation Auswirkung auf unseren Körper hat. Denn warum sahen Frauen, was die Rundungen betrifft, vor einem halben Jahrhundert anders aus? Lese auch meinen Artikel über Liebe deine Cellulite.

Wie und ob wir unseren Hintern trainieren, hängt auch davon ab, ob wir unsere Rundungen feiern oder einen athletischen Körper bevorzugen.

Treppensteigen oder Twerking

Das Hinterteil rückt im Sport für immer mehr Frauen in den Vordergrund. Mit Squats, wie die Kniebeugen heute genannt werden oder Treppensteigen wird dem Gluteus maximus (der große Pomuskel) besonders effektiv zu Leibe gerückt.
Es geht aber auch anders. Wer es sexy, spielerischer und nicht weniger effektiv will, darf es wackeln lassen. Twerking ist ein lustiges, doch anstrengendes Workout, das den Po in den Mittelpunkt rückt.

Dass Po-Wackeln lustig ist, konnte ich erfahren, als ich es in einer Frauengruppe angesprochen habe. Schneller kannst du Frauen nicht zum Lachen bringen. Wackeln und Lachen wirken erlösend und genau das ist für den Hintern oft wichtiger als wir denken.
Dehnen gehört zu jedem Fitnessprogramm und gerade die Muskeln rund um den Po sind oft verkürzt. Verspannungen in den Hinterbacken können wir mittels eines Tennisballs lösen. Auf einer rutschfesten Matte auf den Hosenboden setzen, Ball unter eine Backe platzieren und das Gewicht drauf geben. Dann bewegen, bis du einen „interessanten“ Punkt findest. Auf dem bleibst du ein paar Sekunden – Atmen nicht vergessen.

AproPOs: Ins Schwitzen kommen. Besonders die großen Muskeln an Beinen und Po erzeugen Wärme und tragen somit aktiv zur Aufrechterhaltung der Körpertemperatur bei, während Fett isolierend wirkt und als Reserve gespeichert zu wird.

Auch beim schnöden Gehen kannst du dein Bewusstsein auf deinen Hintern lenken. Samy Molcho, von dem ich viel über Körpersprache gelernt habe, ging immer mit Fokus auf einen Körperteil spazieren. Das war einmal die Nase, ein andermal das Knie, der Bauch oder die Schultern… Und warum nicht auch die Hinterbacken?

Trainiert oder nicht, bewusst oder nicht, und unabhängig von welcher Form auch immer – der Po, sagt man, ist wohl das wesentliche erotische Lockmittel der Frau.

Po als mächtiger sexueller Stimulus

Findige Frauen steigerten durch textile Finten, ihre Chancen, unter die Haube zu kommen. Voluminöse Reifröcke unter eng geschnürten Corsagen täuschten so manchen heiratswilligen Kandidaten, bis „falsche Hüften“ in England 1899 ein gerichtliches Nachspiel hatten.

Interessant ist, dass sich nur beim Menschen (und ansatzweise bei Primaten) das Gesäß als ausgeprägter Körperteil entwickelt hat. Ich sehe eine Parallele zur weiblichen Brust. Sie stellt für die Wissenschaft ein Rätsel dar, warum – anders als bei allen anderen Säugetieren und vor allem Primaten – sich die Brust bei uns Frauen nicht nur für die Zeit der Schwangerschaft und des Stillens bildet, um danach wieder zu schrumpfen. Siehe auch Wacher Busen – Wacher Geist.

Von allen Menschen das Begehrteste ist und bleibt: Der Allerwerteste.

Bäh oder un:verschämt

In fast allen Kulturen gebietet es das Schamgefühl, das Gesäß zu bedecken. Umso wirkungsvoller die Geste der Entblößung des Hinterteils. Mooning, wird der Vorgang heutzutage bezeichnet, jemandem seinen nackten Hintern zu zeigen, um zu provozieren, Geringschätzung auszudrücken oder einfach aus Spaß. Seinen Ursprung führt man zurück auf mittelalterliche Abwehr- und Entblößungszauber. Hach, da liest man so leicht drüber, doch gibt es in der Geschichte einige Beispiele, über die erstaunliche Wirkkraft dieses scheinbar so trivialen Akts…

Das Gesäß als intimes Körperteil übt einen starken erotischen Reiz aus – für beide Geschlechter. Wegen der Nähe zum Anus gilt es gleichzeitig als unrein. Du erinnerst dich bestimmt, wie dir als Kind beigebracht wurde, immer schön die Wachlappen auseinander zu halten.
Dieses Spannungsfeld nutzte Goethe für seinen berühmten LMAA , auch „schwäbischer Gruß“ genannt, den er Götz von Berlichingen zitieren ließ. Mozart kalauerte damit und hat gar einen Kanon darauf verfasst. Auch Luther hielt sich nicht zurück. Überliefert seine bekannte Einsicht: „Aus einem verzagten Arsch kommt kein fröhlicher Furz.“

Weil wir gerade beim After sind: Bezüglich Hämorrhoiden oder Stuhlinkontinenz etc. – dazu habe ich einen sehr informativen und un:verschämten Podcast von einem Proktologen gefunden. Hier z.B. eine Folge über die Hygienische Pflege der Afterregion | Tipps & Tricks (2020) (youtube.com).

Den Hintern platt-meditieren war gestern:

Als ich in oben besagter Frauengruppe erwähnt habe, dass ich einen Artikel über das Hinterteil schreibe, waren alle neugierig. Und als ich mir bei den achtsamen Berührungen, die wir uns dort regelmäßig gegenseitig angedeihen lassen, explizit wünschte, dass mein Po mit einbezogen werden möchte, wollten alle Frauen genau das auch. Was soll ich sagen? Es ruft nach Wiederholung.

Gesäßerotik

Das männliche Interesse am Allerwertesten sei „auf unsere archaische Begattungsweise zurückzuführen“, so die Bremer Kulturwissenschaftlerin Ingelore Ebberfeld. „Der wichtigste sexuelle Stimulus der Frau sei nicht der Busen, sondern das Hinterteil.“ Dabei blickt sie zurück auf archaische Zeiten: „Damals war das Entscheidende, dass wir im richtigen Moment den richtigen Geruch abgegeben und den Hintern hingehalten haben, um uns fortzupflanzen. A tergo, also von hinten, und nicht face-to-face sei ja die klassische Kopulationsstellung von Säugetieren.“

Ich denke, dass sich im Laufe der vielen Jahrtausende bereits ab der Antike einiges geändert hat. Wo es ursprünglich ums Begatten ging (was für ein Wort!) ist heutzutage Erotik im Spiel. Und die wird angefeuert, wenn der Sehnsucht ein Hindernis im Weg steht. Beim Gesäß besteht das Hindernis darin, die Ambivalenz zu überwinden. Wenn also Schuld&Scham, Verbot&Tabu auf Neugier und köstliche Empfindungen treffen.

Während meines Praktikums im Toyshop für die Ausbildung zum Sexual Curiosity Coach wurde ich wach für das ausgeprägte Interesse der KundInnen für Analsex. „Die Hintertür“ auf spielerische, sichere und einvernehmliche Weise zu nutzen, interessierte gefühlt jeden zweiten Besucher – Männer wie Frauen, darunter viele Paare. Von „archaisch“ habe ich da nichts gespürt. Vielmehr Neugier, Vertrauen und Interesse am gemeinsamen Erkunden der sexuellen Spielwiese.

AproPOs: Die Lust- oder Belohnungszentren im Gehirn hängen auch mit dem Empfinden von Schmerz zusammen. Ein gekonnter Klapps auf den Po kann also durchaus lustvoll erfahren erfahren werden. Züchtigende Schläge auf das Gesäß – früher als eine Methode der Körperstrafe – nennt man Spanking.

Keine Angst, es klingt schlimmer als es ist. In meinen Lehrmonaten im Toyshop habe ich verschiedene Requisiten verkauft, die bei einem Klapps auf den Po zwar dramatisch klingen aber in erster Linie für Heiterkeit sorgen.

Und geht es nicht darum? Dass wir wach werden für unseren Körper? Auch im Qi Gong klopft man den Körper ab, um das Qi zu wecken – auch den Po. Zum Beispiel so: Im Stehen mit den Handflächen zweimal auf die Oberschenkel und einmal auf den Allerwertesten klatschen. Locker schwingend und rhythmisch mehrmals hintereinander. Wenn die Energie fließt, geht es uns gut. Probiere das gleich mal aus.

Schluss mit Aussitzen

Ich hoffe, es ist mir gelungen, unseren Allerwertesten ins rechte Licht zu rücken. Viele „alte Themen“ sind in unserem Bindegewebe gespeichert und über Generationen buchstäblich „ausgesessen“ worden. Wenn wir unseren köstlichen Hintern von dieser öden Aufgabe befreien, bringen wir auf ganzheitliche Weise mehr Lebendigkeit in unser Leben und Bewusstsein für unser körperliches POtential.

Liebe Grüße


Birgit

Wenn du mehr über Körperbewusstsein, SINN:lichkeit und gelebte Weiblichkeit lesen möchtest, findest du mehr dazu auf meinem Blog und in meinen Büchern.

5 Kommentare
  1. Charlotte sagte:

    Schon als ich deinen Artikel gelesen habe, wollte ich einen Kommentar schreiben, aber mir fielen keine Worte ein. Nachdem ich ihn einer Freundin weitergeleitet und mit ihr darüber gesprochen habe, ist es mir ein Bedürfnis. Ich finde es grandios, wie heiter du über den Po schreibst. Was dir dazu alles einfällt. Chapeau! Der Stuhltanz hat es mir besonders angetan. So viel Sinnlichkeit und Ästhetik. Macht mir Lust, das auch auszuprobieren.

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  2. Edeltraud Breitenberger sagte:

    Liebe Birgit,

    mit großer Begeisterung habe ich Deinen Po-Letter gelesen. Vielen Dank, dass Du Dich mit unserem absolut wichtigen und sinnlichen Körperteil so ausführlich beschäftigt und geschrieben hast.
    In meinen Gehworkshops mit höheren Absätzen spreche ich immer wieder davon, wie wichtig die Bewegung des Beckens ist und der Po sich ganz natürlich bewegen darf – sogar soll! Nicht selten beklagen sich die Damen, dass er zu groß oder gar zu klein ist. Ich sage: „Liebe ihn genauso wie er ist!“ Bei den Videoaufnahmen gibt es oft angenehme Überraschungen, wenn der Po sich natürlich bewegt. Es sieht einfach toll aus.
    Ob klein oder groß. In der Bewegung schenkt er uns einen unglaublich femininen Ausdruck.

    Auch Danke dafür, dass Du auf die Wichtigkeit des Trainierens hingewiesen hast. Der PO Muskel ist sogar unser größte Muskel im ganzen Körper.

    Noch ein Tipp von mir: Beim Gehen an ihn zu denken macht schon einen Unterschied!

    Herzlichen Gruß
    Edeltraud

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    • Birgit Faschinger-Reitsam sagte:

      Liebe Edeltraud,
      „Ob klein oder groß. In der Bewegung schenkt er uns einen unglaublich femininen Ausdruck.“ Wie schön du dies nochmal mit deinen Worten unterstreichst. Auch dein I-Tüpfelchen: „Liebe ihn genauso wie er ist!“, trifft es. Vielen Dank für deinen wertvollen Kommentar.

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  3. Bea sagte:

    Der Artikel ist wieder mal super. Ich finde es klasse, wie humorvoll und doch tiefgründig du dich Themen widmest, über die man sich sonst (und leider) kaum Gedanken macht.

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